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Newsletter VIII 2025
- Steve Mc Queen- „Bass“ – Licht-Klang-Raum-Installation im Schaulager der Laurenz-Stiftung in Basel/Münchenstein. Foto: azw
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Heute beginne ich meinen monatlichen Newsletter mit einem etwas anderen Thema als üblich. Nämlich: Wie verändert eine neue Direktion eines Museums dessen Charakter? Einem breiteren Publikum und/oder auf Distanz, fällt das vielleicht nicht so auf. Aber da, wo man alle Aktivitäten verfolgt, schon. In Biel ist es markant. Anfangs 2023 startete Paul Bernard – vom Mamco in Genf her kommend .- in Biel, als Nachfolger von Felicity Lunn. Mit einer Ausstellung Francis Baudevin – einem markanten und einflussreichen Künstler der Romandie. In Windeseile verwandelte sich das neu Kunsthaus Biel/Centre d’art Bienne benannte Museum in ein welsches Haus. Etwas, was es zuvor zu wenig war für die grösste zweisprachige Stadt der Schweiz. Aber statt Balance schlägt jetzt das Pendel in die andere Richtung aus.
Wichtiger ist aber das Drei-Säulen-Konzept, das Paul Bernard einführte: Erstens, eine aktuelle, zuweilen experimentelle, national-internationale Ausstellung. Zweitens, eine Ausstellung mit historischem Charakter. Und drittens, eine Ausstellung als Plattform für die hochschulorientierte Forschung. Alle drei Säulen oft in Kooperation mit zugezogenen Kurator*innen. Das gibt dem Haus Profil, ob man das rundum schätzt oder nicht.
Als das Kunsthaus 2023 einen Teil der eigentlich ans Mamco in Genf gerichteten Schenkung Mary an und Hal Glicksmann auf nachdrücklichen Wunsch Bernards annahm, gab es hinter verhaltenen Hand Opposition. Was soll ein Los Angeles basiertes, dokumentarisches, auf die 1970er-Jahre ausgerichtetes Konvolut in einem Museum in Biel? Doch Bernard zieht diesen amerikanischen Fil rouge durch. Mit grösseren Ausstellungen wie jener des multidisziplinär arbeitenden Jim Shaw, (*1952) einer Kultfigur der kalifornischen Kunstszene, kleineren wie dem Auftrag an den Genfer Künstler Matthias C. Pfund (*1992) eine Hommage an das Ehepaar Glicksmann zu kreieren oder – aktuell – «The Rude Museum», eine auf feministische Spuren in der Schenkung Glicksmann ausgerichtete Untersuchung von Studierenden der Universität Neuchâtel unter der Leitung von Christine Bonnefoit. Im Bild: Judy Chicago „Peeling Back“, Lithographie um 1970.
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Auf der kunsthistorischen Ebene des Bernard-Konzeptes gab es bereits mehrere, sehr interessante Ausstellungen, wie jene des Franzosen Daniel Pommereulle (1937-2003), der in der ersten Lebenshälfte ein Gewalt in Kunstobjekte verpackendes Werk (s.Bild rechts) schuf; auf der Basis seiner Erfahrungen im Algerienkrieg. Im späten Schaffen stand dann die Suche nach der Energie des Lichtes im Zentrum . Oder der italienischen Avantgarde-Künstlerin Fausta Squaratti (*1941) im Dialog mit der jungen Genfer Künstlerin Delphine Reist. Zur Zeit: Eine Rekonstruktion der filmischen Experimente des griechisch-amerikanischen Filmemachers Gregory J. Markopoulos (1928-1992).
Auf der aktuell-experimentellen Schiene läuft noch bis 31. August die Ausstellung der deutschen Künstlerin Alexandra Bircken (*1967), die von ihrer Ausbildung in London her eigentlich Mode-Designerin ist, nun aber Skulpturen schafft, die aus Teilen von kraftstrotzenden Motorrädern als «Kleid» des Körpers zusammengesetzt sind. Es ist eine wahrlich aussergewöhnliche künstlerische Position für eine Frau, die sich zudem nicht scheut, deutlich erotische Allusionen einzubauen, in jedem Fall dem Cliché des gemeinhin weiblich Konnotierten widerspricht. Was wohl der Harley Davidson-Fan Olivier Mosset (Ausstellung 2024) dazu sagen würde?
Zu diesem Drei-Säulen-Konzept kommen die traditionellen Gefässe wie die «Cantonale Bern-Jura», die Ausstellung der Berner Manor-Preisträger*innen, die Präsentation der Diplom-Arbeiten der HKB u.a.m.
Das Budget beläuft sich trotz Teuerung seit vielen Jahren unverändert auf rund 1.5 Mio Franken, was – leicht nachvollziehbar – ständig «Limit» bedeutet.
STEVE MC QUEEN/SCHAULAGER BASEL
Einen unvergesslichen Eindruck vermittelt die zwei Stockwerke umfassende und absolut faszinierende Licht-Farb-Sound-Installation des englischen Künstlers Steve Mc Queen (*1969) im Schaulager der Laurenz-Stiftung in Basel. Der «Black British» Turner Preisträger hatte schon vor 12 Jahren eine Einzel-Ausstellung daselbst, damals mit einer beeindruckenden Schau seiner herausfordernden Filme, die sich oft um die Frage der afrikanischen Diaspora in der Welt befassen; dies jedoch nicht polemisch, sondern eigenes Empfinden einbringend. Der bekannteste: «12 Years A Slave» mit dem er einen Oscar gewann. Nun hat er sich (wohl temporär) vom visuell Fassbaren entfernt und zeigt in der Auftragsarbeit «Bass» der Laurenz-Stiftung und der Dia Art Foundation eine gänzlich abstrakte Arbeit, die sogar über den Begriff des «Expanded» Cinema hinausgeht.
1000 (!) LED-Lichtröhren in rhythmisch-geometrischer Anordnung an der Decke beider Stockwerke verändern sich langsam (sehr langsam) von einer Farbe zur anderen, durchlaufen den gesamten «Regenbogen». Mal ist es warm, dann heiss, dann kühl oder kalt, um sich dann wieder zu erwärmen. Dazu ein den Farben folgender, der «Black Music» verpflichteter Soundtrack, der in Zusammenarbeit mit dem afro-amerikanischen Bassisten Marcus Miller und einer Gruppe von Musikern während eines dreitätigen «Workshops» in der Dia Art Foundation in New York entstand. Da Bass-Klänge direkt im Körper widerhallen, ist man als Besuchende im Schaulager auf einer immateriellen Ebene sogleich und unmittelbar Teil der immersiven Installation.
Dass McQueen damit im internationalen Trend liegt, der Kunst immer stärker als Event, als Erlebnis vorantreibt, darf man nicht übersehen, aber das Dasein in absoluter Stille, nur verbunden mit Licht (Farbe) und Klang und Raum, ist néanmoins grossartig. Dass einem beim Wandern durch den Raum «fremde» Gedanken kommen ist beinahe unmöglich, zu sehr ist man eingeschlossen in diese «kosmische» Welt.
Ich wanderte sicher eine Stunde durch die beiden Stockwerke, wobei mich das Obergeschoss – das «Wissen», dass über der Decke das Universum beginnt – stärker berührte als der untere Raum, der mir nur für das Raumvolumen wichtig schien.
Ich hatte Glück, als ich kam, waren erst wenige Personen da, die ich gut in mein Wandern einschliessen konnte. Als ich später – sprich: nach dem Kaffee und einer Weile Katalogstudium – das Schaulager verliess, sah ich, dass inzwischen eine Menschenschlange auf Einlass wartete. Gut wird die Anzahl Besucher*innen begrenzt, um die Wahrnehmung von Raum, Klang und Farbenfluss nicht zu schmälern. Bis 16. November 2025 Do 12-18, Sa,So 11-17 h.
VALENTIN HAURI UND EVA GADIENT IM KUNSTHAUS GRENCHEN
Nur wenige bis heute erfolgreiche Schweizer Künstler kenne ich so lange wie Valentin Hauri. Schon 1985 begleitete ich eine Ausstellung von Valentin in der Städtischen Galerie in Lenzburg. Bereits ab Ende der 1970er-Jahre galt der 1954 geborene Aargauer als Shooting Star, bespielte 1984 – gerade 30 jährig – als Gast der Jahresausstellung ein Kabinett im Aargauer Kunsthaus.
Das will so gar nicht zu den wie Konzentrate wirkenden Bildräumen der in Grenchen gezeigten Werke passen. Tatsächlich war der Weg von den «Befindlichkeitsbildern» der 1980er-Jahre zum Heute ein langer – notabene gewinnbringender – Prozess.
Nun zeigt Robin Byland im Neubau des Kunsthaus Grenchen Valentin Hauri im Dialog mit der mir bisher unbekannten Eva Gadient unter dem Goethe entlehnten Titel «Nun sag, wie hast du’s mit der Malerei?»
Konzeptuell ist der Dialog zweier abstrakter Positionen spannend: Malerei, einmal extraviertiert und expressiv und einmal nach Innen verdichtet. Und dies als Ausdruck einer 44jährigen Malerin und eines 71jährigen Malers. Ausgangspunkt ist das einzige Bild (links), das einem einen kurzen Moment lang irritiert, weil man nicht sicher ist, ob das nun eine überraschende Annährung von Gadient an Hauri oder von Hauri an Gadient ist. Es ist «Blue Moon» (Sandcastels) von Valentin Hauri aus dem Jahr 2022. Von da wirbelt Gadient (s. rotes Bild) in schnellen, grosszügigen Gesten über grosse Leinwände, findet dann und wann zur Form, zum Gefäss, zum Raum, bleibt aber meist wolkig in einem weit gefassten
Das Erstaunliche: Noch nie habe ich die Werke Hauris so klar und sicher herausgearbeitet erlebt wie hier, wo sie ihre Gegenposition – vielleicht sogar ihre Opposition – ausspielen können und dürfen. Wobei zweifellos auch dazu beiträgt, dass er einige Werke nicht mit O.T. (Ohne Titel) bezeichnet, wie bisher üblich, sondern den Betrachtenden ein klein wenig Zutritt erlaubt, indem er sie z.B. «Essai sur la fatigue» (Bild rechts) nennt und so die Position «abstrakt» etwas aufweicht.
Folgt man dem Saaltext von Byland, so erhellen sich die bei Hauri stets opulenten Referenzen, die einerseits die Belesenheit des Künstlers in Musik, Film, Kunst und Literatur dokumentieren, andererseits die Gefahr einer inhaltlichen Überfrachtung bergen. Der Künstler selbst erwähnt sie darum nur minimal, zum Beispiel «Untitled (after C.F. Hill)», denn in der Malerei geht es ihm nicht um eine rationale Reduktion eines dem Betrachtenden unbekannten, bestehenden Bildes (des schwedischen Postimpressionisten C.F. Hill, 1849 – 1911, z.B.), sondern – ähnlich wie bei Steve Mc Queen (s.oben) – um eine letztlich immaterielle Annäherung an die Essenz.
Bei Eva Gadient kann ich das nicht benennen, zu wenig kenne ich ihr Werk, gewisse Zweifel muss ich im Moment stehen lassen.
Bis 16. November 2025
ALAIN HUCK «RESPIRER UNE FOIS SUR DEUX” (deutsch: “den Atem einen Moment anhalten» im MCBA (Musée Cantonale des Beaux Arts) in Lausanne
Vergleichbar mit Roman Signer im Kunsthaus Zürich zeigt der in der Romandie hoch geschätzte und vielfach ausgezeichnete Alain Huck (*1957) nicht die vielleicht erwartete Retrospektive, die seine grossformatigen, dichten Tusch-Zeichnungen – seien es Exterieurs oder Interieurs – Revue passieren lassen, sondern eine Ausstellung, die in wesentlich stärker in Materialien, Objekten und kleinformatigen Zeichnungen/Aquarellen erscheinender Form seine Auseinandersetzung mit den Kehrseiten des Garten Edens (vgl. die Boden-Installation mit Agaven, in die je das Wort «EDEN» eingeritzt ist) ins Zentrum stellt. Ein relativ direkt lesbares Werk ist die Bleistift-Zeichnung und Schrift kombinierende Serie «Darkness of Heart», die als Basis das Delta-Negativ des Flusses Kongo zeigt, während die Umräume von der von hinten nach vorne transkribierten Schrift des Buches «Heart of Darkness» von Joseph Conrad (1899) geformt werden. (Das Buch ist ein frühes, emotionales Zeugnis der rücksichtslosen, europäischen Kolonialgeschichte).
Während der Titel der Ausstellung «Respirer une fois sur deux» eine einzelne Schrift-Zeichnung zitiert, ist es die Headline einer 96-teiligen, vielfältigen Bild-«Erzählung», die wie ein Insekt durch die ganze Ausstellung schwirrt und ebenso subtil wie nervös, von Hucks Befindlichkeit Kunde gibt: «Vite soyons heureux il le faut je le veux» (erscheint z.B. auch als Projektion auf einem Vorhang). Damit weist Huck sowohl auf die Dringlichkeit der Welt-Sorge wie auf den Spruch «Carpe diem», das Leben im «Hic et nunc».
Man könnte vieles erzählen. Ich greife ein mich ganz persönlich in Staunen versetzendes Moment heraus: Eine (der wenigen) Tusch-Zeichnungen von Huck im MCBA zeigt eine üppige Chrysantheme von 2013, die zugleich Trauerblume ist wie, so der Saaltext, an eine atomare Explosion erinnert und gemäss Huck inspiriert ist von einer japanische Novelle mit dem (hier übersetzten) Titel « An dem Tag, an dem er sich herablässt, meine Tränen zu trocknen», somit Trauer und Trostsuche ausdrückt. Das ist eine Referenzkette wie bei Valentin Hauri (s.oben), ist hier aber persönlicher Ausdruck von Hucks Trauerzeit nach dem (Krebs)-Tod seines Sohnes.
Was mich in schmunzelndes Staunen versetzt hat, ist aber nicht das, sondern, dass ich eine – anders geformte – schwarze Chrysantheme aus ungebranntem Ton von Sandrine Pelletier (*1976 – Lausanne) besitze, welche 2020 dieselbe Thematik von Trauer und Trostsuche umsetzt; bei ihr angesichts der Katastrophe im Hafen von Beirut, in dessen Nähe sie kurz zuvor in einer Residency weilte. Anzumerken ist, dass sich Huck und Pelletier, der Ältere und die Jüngere, gut kennen, gar ein gemeinsames Buch herausgegeben haben. So werden Geschichten mit immer neuen Inhalten weiter gewoben.
Bis 7. September 2025
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Alle Fotos: azw